Von Achim U. Krieger
Präventive Sanierung jetzt! Sonst droht der Absturz vieler Existenzen
Die Debatten um die Sinnhaftigkeit der verschiedenen Corona-Hilfen sind entbrannt, in der Politik und auch der Unternehmerschaft. So handelte sich Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erst Mitte September herbe Kritik an der Verlängerung des Kurzarbeitergelds ein. Der Grund: Damit würden auch wettbewerbsunfähige Firmen künstlich am Leben erhalten. Generell mehren sich die Zweifel an verschiedenen Unterstützungsmaßnahmen. Kommt das Geld dort an, wo es sinnvoll ist?
Verschobene Insolvenzen?
Um die Sachlage zu klären, hilft ein Blick auf die bisherige Verteilung. Zusammengefasst beinhaltet das Rettungspaket der Regierung, neben der ersten Soforthilfe für kleine und mittelständische Unternehmen, aktuell eine Überbrückungshilfe in zwei Phasen. Doch diese kann aufgrund zu hoher bürokratischer Hürden kaum abgerufen werden. Zudem gibt’s KFW-Kredite, bei denen der Staat die Haftung bis zu 100 Prozent übernimmt. Hierbei bekommen auch veraltete Industriezweige noch eine Finanzspritze hinterhergeworfen. Darüber hinaus wird „bedeutenden“ Unternehmen mit Umsatzerlösen von mehr als 50 Millionen Euro, wie der Lufthansa, über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds mit direkten Staatsbeteiligungen
unter die Arme gegriffen. Weitere 14 Großkonzerne haben eine Anfrage beim Wirtschaftsministerium gestellt. Auch können Steuern gestundet werden, es existieren Programme für einzelne Zielgruppen und regionale Angebote sowie einiges mehr. Und – das ist eine der heikelsten Maßnahmen: Seit 1. März ist die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt, was bis 31. Dezember 2020 verlängert wurde. Unter diesen Schutzschirm schlüpfen nun auch Firmen, die bereits vorher am Schlittern waren. Das wird unter anderem dadurch deutlich, dass von der Pflicht zur Insolvenzanmeldung alle befreit wurden, die schon ab 31. Dezember 2019 Zahlungsschwierigkeiten hatten. Nur war Deutschland da von der Pandemie noch weit entfernt.
Unkontrollierte Verteilung statt gezielter Restrukturierung
Durch diese ungeprüfte Schonfrist wird der „Zombieeffekt“ erst möglich. Kleinunternehmen beispielsweise erkennen ihre bilanzielle Überschuldung oft erst rund ein Jahr nach Eintreten. Und es schadet einigen wackelnden Unternehmen sogar. Denn die Maßnahmen schaffen eine Scheinsicherheit in Form liquider Mittel und verhindern präventive Sanierung. Damit wächst die Gefahr, eine historische Chance zu verpassen: Corona hat zahlreiche Innovations-Lücken in vielen Branchen deutlich sichtbar gemacht, insbesondere in Richtung des so dringend benötigten Strukturwandels zu mehr Digitalisierung und Klimaschutz. Gerade jetzt müssten Beratungsunternehmen und Interim-Manager durch gezielte Business Transformationen diesen trudelnden Firmen helfen, sich neu aufzustellen. Je früher, desto besser. Doch spricht jemand im größeren Stil über die Gelder, die dafür bereitgestellt werden müssten? Nein! Stattdessen wurden Hilfen unkontrolliert verteilt – und zwar ohne Kriterien an finanzielle und bilanzielle Stabilität anzulegen. Dabei wäre das vergleichsweise leicht möglich gewesen. Warum wurde der Weg über die Finanzämter nicht von Beginn an gewählt, als bereits existierende Prüfinstanzen? Dort liegen alle Daten vor und man kann auch direkt sehen, ob ein Betrieb überhaupt existiert. Ferner wüsste man gleich, dass die Gelder steuerlich für den nächsten Abschluss eingetragen werden und könnte spätere Anträge für solide Firmen vereinfachen.
Die Aussetzung der Insolvenzanmeldung ist zudem höchst brisant, da sie andere Pleiten nach sich zieht. Wer seine offenen Rechnungen nicht bezahlen kann, wird derzeit noch gesunde Unternehmen, beispielsweise Partner und Zulieferer, mit in den Abgrund reißen. Dies kann eine dominoartige Welle auslösen, die kaum mehr kalkulier-, geschweige denn steuerbar ist und letztlich uns alle viel mehr kosten wird. Vielleicht entsteht daraus sogar eine neue Bankenkrise.
Klicken gar die Handschellen?
Achtung: Die verlängerte Aussetzung der Pflicht zur Insolvenzanmeldung ab Oktober gilt ausdrücklich nur bei Überschuldung und nicht bei Zahlungsunfähigkeit. Diese setzt übrigens recht früh an und meint: Zehn Prozent der fälligen Forderungen können in absehbarer Zeit nicht beglichen werden. Außerdem braucht es fürs Weitermachen eine positive Fortführungsprognose. Wer das ignoriert, riskiert als Geschäftsleitung strafrechtliche Konsequenzen. Das dicke Ende kann also noch kommen – in mehrfacher Hinsicht.
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